Europäischer Haftbefehl, Voraussetzungen und Verfahren

Einführung - Der Europäische Haftbefehl

Entgegen dem Wortlaut handelt es sich beim Europäischen Haftbefehl nicht um einen selbständigen neuen Haftbefehlstyp. Durch den Europäischen Haftbefehl werden lediglich die Voraussetzungen und das Verfahren geregelt, unter denen eine Person aus einem Mitgliedsstaat der europäischen Union an einen anderen Mitgliedsstaat überstellt werden darf. Im jeweiligen Mitgliedsstaat muss deshalb zunächst ein eigenständiger Haftbefehl nach den jeweiligen nationalen Vorschriften vorliegen.

Die Regelungen über den Europäischen Haftbefehl haben in der Europäischen Union (EU) das traditionelle Auslieferungsverfahren ersetzt. Anknüpfungspunkt war hierbei Art. 29 Abs. 1 EU. Dieser Artikel sieht vor, in Europa einen Raum der Freiheit und Sicherheit zu schaffen.

Das traditionelle Auslieferungsverfahren ist sehr zeitintensiv und kompliziert geregelt, so dass man davon ausging, hierdurch die Vorgaben von Art. 29 EU nicht erfüllen zu können.

Wesentliche Vereinfachungen sieht das Verfahren insbesondere dadurch vor, dass

  • der Europäische Haftbefehl grundsätzlich eine gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen vorsieht,
  • die Justizbehörden ohne Beteiligung des diplomatischen Weges unmittelbar zusammenarbeiten,
  • grundsätzlich auch eigene Staatsangehörige ausgeliefert werden können und
  • weitgehend vom Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit abgerückt wurde.

Die erste Umsetzung des europäischen Rahmenbeschlusses wurde durch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18.07.05 für verfassungswidrig erklärt, weil das Bundesverfassungsgericht in der Umsetzung einen Verstoß gegen das Asylrecht des Art. 16 GG und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gesehen hat.

Am 02. August 2006 ist deshalb eine überarbeitete Gesetzesfassung in Kraft getreten. Sie findet sich nun im 8 Teil des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG).

Formelle Voraussetzungen gem. § 83 a IRG

Der Europäische Haftbefehl muss nachfolgende Angaben enthalten:

  • die Identität und die Staatsangehörigkeit der gesuchten Person,
  • Name, Adresse,Telefon und Telefaxnummer sowie E-Mail Adresse der ausstellenden Justizbehörde,
  • die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare gerichtliche Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung vorliegt,
  • die Art und rechtliche Würdigung der Straftat,
  • die Beschreibung der Umstände unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Art der Täterschaft der gesuchten Person,
  • im Falle eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe oder der für die betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedsstaat gesetzlich vorgeschriebene Strafrahmen und
  • soweit möglich, die anderen Folgen der Straftat

Ein in Auslieferungsfragen versierter Rechtsanwalt wird zunächst den europäischen Haftbefehl auf diese formellen Voraussetzungen überprüfen. Erfüllt ein Haftbefehl nicht die Voraussetzungen von § 83 a IRG, ist eine Auslieferung unzulässig.

Materielle Voraussetzungen

Nach Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses ist bei nachfolgenden Delikten, soweit sie im Ausstellungsstaat mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, ohne weitere Prüfung der Gegenseitigkeit die Vollstreckung aus einem Europäischen Haftbefehl zulässig.

Zu den Delikten gehören

  • Terrorismus,
  • Menschenhandel,
  • sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie,
  • illegaler Handel mit Drogen, Waffen und Sprengstoffen,
  • Korruption,
  • Betrugsdelikte,
  • Geldwäsche,
  • Geldfälschung und Fälschung von Zahlungsmitteln,
  • Cyberkriminalität,
  • Umweltkriminaliät,
  • Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt,
  • vorsätzliche Tötung und schwere Körperverletzung,
  • illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe,
  • Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme,
  • Rassismus und Fremdenfeindlichkeit,
  • Diebstahl in organisierter Form und mit Waffen,
  • illegaler Handel mit Kulturgütern,
  • Erpressung und Schutzgelderpressung,
  • Produktpiraterie,
  • Fälschung von und Handel mit amtlichen Dokumenten,
  • illegaler Handel mit Hormonen,
  • illegaler Handel mit nuklearen Substanzen,
  • Kraftfahrzeugkriminalität,
  • Vergewaltigung und
  • Brandstiftung

In den übrigen Fällen darf ein europäischer Haftbefehl nur erlassen werden, wenn die im Gesetz angedrohte Freiheitsstrafe im Falle der Auslieferung zur Verfolgung im Höchstmaß mindestens ein Jahr beträgt oder im Falle der Auslieferung zur Vollstreckung im konkreten Fall eine Strafe von mindestens vier Monaten zu vollstrecken ist. In einer solchen Situation kann der ersuchte Staat weiterhin die Gegenseitigkeit der Strafbarkeit prüfen. Sollte im ersuchten Staat ein gleicher Straftatbestand nicht vorhanden sein, kann eine Auslieferung unterbleiben.

In materieller Hinsicht ist nur ein im Strafrecht erfahrender Rechtsanwalt in der Lage darzulegen, dass die vorgeworfene Straftat nicht einer der bezeichneten Deliksgruppen zuzuordnen ist, die notwendigen Strafhöhen nicht erreicht werden oder eine Gegenseitigkeit nicht vorliegt.

Fristen

Nach der Festnahme werden unterschiedliche Fristen in Gang gesetzt, innerhalb derer das Verfahren durchgeführt werden muss. Sollte sich die verhaftete Person nach Ablauf der maßgeblichen Frist noch in Haft befinden, ist sie gem. § 83d IRG freizulassen. Auch zur Überprüfung der Fristen empfiehlt es sich, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Da bei Einhaltung der Fristen eine Überstellung zeitnah erfolgt, ist es dringend erforderlich, sich so schnell wie möglich an einen Rechtsanwalt zu wenden.

Auslieferung von deutschen Staatsangehörigen

Unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 IRG ist auch die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen aus Deutschland an ein anderen Mitgliedsstaat möglich. Hierbei muss gewährleistet sein, dass die festgenommene Person zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe wieder nach Deutschland überstellt wird. Weiterhin muss die Straftat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedsstaat aufweisen.

Sollte ein maßgeblicher Bezug zum ersuchenden Staat nicht vorliegen, darf eine Überstellung insbesondere nur erfolgen, wenn die Straftat keinen maßgeblichen Bezug zum Inland (Deutschland) aufweist und eine Interessensabwägung zugunsten der Überstellung ausfällt.

Rechte der festgenommenen Person

Die verhaftete Person hat insbesondere folgende Rechte:

  • Zunächst ist die festgenommene Person über den Inhalt des Europäischen Haftbefehls zu unterrichten.
  • Sie ist bis Ablauf des nächsten Tages nach der Festnahme einem Richter vorzuführen,
  • Die verhaftete Person hat ein Recht auf Zuziehung eines Rechtsbeistandes und eines Dolmetschers.

Diese Rechte sollte eine verhaftete Person wahrnehmen!

Weitere Fragen

Sollten Sie Fragen zum europäischen Haftbefehl haben, stehe ich Ihnen unter den oben angegebenen Kontaktdaten gerne zur Verfügung.